Pressemitteilung
Nebel mit Doppelsternantrieb
5. August 2009
Neue Aufnahmen eines Sternfeldes im Sternbild Carina (Kiel des Schiffs), veröffentlicht von der Europäischen Südsternwarte (ESO), zeigen ein funkelndes Durcheinander von Sternen aller Farben und Helligkeiten, einige davon vor einem Hintergrund von Staub- und Gaswolken. Ein ungewöhnlicher Stern in der Mitte des Feldes, der die Katalognummer HD 87643 trägt, war das Ziel umfangreicher Untersuchungen mit mehreren ESO-Teleskopen, einschließlich des VLT-Interferometers (VLTI). Dabei gelang der Nachweis, dass der Stern, der sich im Inneren eines komplexen, ausgedehnten Nebels aus Materie befindet, die er selbst ausgestoßen hat, einen Begleiter besitzt. Die Wechselwirkung zwischen diesen beiden von einer Staubscheibe umgebenden Sternen, so die Vermutung, könnte der Mechanismus sein, der zur Bildung des beeindruckenden Nebels geführt hat.
In der Mitte des neuen Bildes, das eine mit Sternen übersäte Himmelsregion im Carina-Arm der Milchstraße zeigt, befindet sich der Stern HD 87643, ein Vertreter der exotischen Klasse der B[e]-Sterne [1]. Das Bild ist Teil einer Beobachtungsserie, mit der Astronomen die bislang besten Aufnahmen eines B[e]-Sterns gelungen sind.
Das Bild wurde mit dem Wide Field Imager (WFI) aufgenommen, einer astronomischen Kamera mit besonders großem Blickfeld, die am MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop am La Silla-Observatorium in Chile zum Einsatz kommt. Der Gas- und Staubnebel, der den Stern umgibt und sein Licht reflektiert, ist darauf in voller Schönheit zu sehen. Seine Struktur ergibt sich unter anderem durch den Sternwind, dessen Teilchenströme im Gas und Staub des Nebels filigrane, rankenartige Strukturen ausgeformt haben. Eine genauere Untersuchung dieser Strukturen führt zu dem Schluss, dass der Stern alle 15 bis 50 Jahre beträchtliche Mengen an Material ausstößt.
Eine Forschergruppe unter der Leitung von Florentin Millour vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn hat den Stern HD 87643 nun mit Hilfe mehrerer ESO-Teleskope einer genaueren Untersuchung unterzogen. Außer dem WFI kam dabei auch ESOs Very Large Telescope (VLT) auf dem Paranal zum Einsatz.
Am VLT setzten die Astronomen das NACO-Instrument ein. Es verfügt über so genannte adaptive Optik, welche den störenden Einfluss der Erdatmosphäre (das “Funkeln der Sterne”) zu einem Großteil ausgleicht und so besonders scharfe Aufnahmen ermöglicht. Für weitere Untersuchungen verwendete die Forschergruppe das VLT-Interferometer (VLTI).
Die Bilder, welche die Forscher aufnahmen, decken einen weiten Bereich unterschiedlicher Vergrößerungen ab – zwischen dem Panoramabild mit der WFI-Kamera und den detaillierten Aufnahmen der VLTI-Beobachtungen liegt ein Zoomfaktor von 60.000. Die Astronomen konnten nachweisen, dass HD 87643 einen Begleiterstern besitzt, der von einer enganliegenden Staubschale umgeben ist. Die beiden Sterne sind rund fünfzig Mal so weit voneinander entfernt wie die Erde von der Sonne und umkreisen sich mit einer Umlaufzeit zwischen 20 und 50 Jahren. Wahrscheinlich ist das Sternsystem als Ganzes von einer Staubscheibe umgeben.
Die Existenz des Begleiters könnte die Erklärung dafür liefern, warum HD 87643 regelmäßig Materie ins All schleudert, und damit auch dafür, wie sich der Reflexionsnebel gebildet hat: Auf einer stark elliptischen Umlaufbahn käme der Begleiterstern dem Hauptstern HD 87643 regelmäßig sehr nahe, und dies könnte die Materialauswürfe auslösen.
Endnoten
[1]: B[e]-Sterne sind Sterne des Spektraltyps B, deren Spektrum Emissionslinien aufweist (daher der Zusatz “e”). Sie sind von großen Mengen von Staub umgeben.
Weitere Informationen
Die hier beschriebenen Ergebnisse werden in Kürze in der Zeitschrift Astronomy and Astrophysics veröffentlicht: F. Millour et al., “A binary engine fueling HD 87643’s complex circumstellar environment using AMBER/VLTI imaging”.
Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 14 Mitgliedsländer: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO das European Extremely Large Telescope (E-ELT) für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, mit 42 Metern Spiegeldurchmesser ein Großteleskop der Extraklasse.
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Kontaktinformationen
Florentin Millour
Max-Planck Institute for Radio Astronomy
Bonn, Germany
Tel: +49 228 525 188
E-Mail: fmillour@mpifr.de
Henri Boffin
ESO
Paranal, Chile
Tel: +49 89 3200 6222
E-Mail: hboffin@eso.org
Valeria Foncea
ESO
Chile
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E-Mail: vfoncea@eso.org
Joerg Gasser (Pressekontakt Schweiz)
ESO Science Outreach Network
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Über die Pressemitteilung
Pressemitteilung Nr.: | eso0928de-ch |
Legacy ID: | PR 28/09 |
Name: | HD 87643 |
Typ: | Milky Way : Star : Type : Exotic Milky Way : Nebula |
Facility: | MPG/ESO 2.2-metre telescope, Very Large Telescope, Very Large Telescope Interferometer |
Instruments: | AMBER, MIDI, NACO, WFI |
Science data: | 2009A&A...507..317M |